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Berlin: Darum duzen wir uns in der Hauptstadt

Es heißt die Menschen in Berlin würden öfters und direkter das „Du“ verwenden als das „Sie“. Ein Sprachwissenschaftler bezieht Stellung dazu.

© IMAGO/Christian Spicker

Berlin: Unfassbar, was hinter diesen Mauern geschah

„Berlin ist anders.“ Diesen Satz hört man immer wieder, unabhängig, worüber man spricht. So trifft diese Aussage auch auf das Thema: Duzen oder Siezen? in der Hauptstadt zu. Denn während in Deutschland allgemein die Regel gilt: Erst siezen, dann duzen, wenn das Gegenüber dem denn zugestimmt hat, ist es in Berlin – anders. Egal wann, wo und wer, ständig hört man in Deutschlands Hauptstadt das Wörtchen „Du“.

Es heißt: In Berlin duzen Menschen mehr als sie siezen. Dabei ist die Regel doch eigentlich eine andere. “Jede volljährige Person hat nach allgemeiner Auffassung ein Recht darauf, mit ‚Sie‘ angesprochen zu werden. Dies ist die Regel, das ‚Du‘ demnach die Ausnahme” so besagt es der Knigge, der Verhaltenskodex der Deutschen. Die Anrede ist die erste Form von Höflichkeit, wenn zwei fremde Menschen aufeinandertreffen. Sind die Berliner also nicht höflich, wenn sie ständig jeden duzen?

Berlin: Warum wird hier so viel geduzt?

Für viele Berliner gehört das Duzen zum guten Ton. Alles andere wäre zu steif für diese Stadt. Scheinbar ist das kein neuer Trend in der Hauptstadt, denn schon Goethe soll sich seinerzeit bereits über die duzenden Berliner geärgert haben. Aber, stimmt das auch?

Prof. Dr. Horst Simon, Sprachwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin, bestätigt gegenüber dem „Tagesspiegel“, dass in Berlin wahrscheinlich mehr geduzt wird, als woanders. Wissenschaftliche Studien gebe es zwar noch keine, aber „Das ist schließlich unser aller Alltagserfahrung“, so Simon. Weiter nennt er ein paar Gründe, die seiner Meinung nach Ursache dieses Phänomens sind.

1. Grund: Die Berliner Informalität

„Traditionelle Normen werden hier als nicht so wichtig erachtet: Wie viele Leute gehen bei Rot über die Straße, wie viele Leute fahren auf dem Bürgersteig mit Fahrrad?“ Anders als in anderen deutschen Städten habe Berlin lockerere stilistische Normen, sowohl bei Sprache und Umgang, als auch bei Lebensstil oder Kleidung.

Während das ein Grund für viele Menschen ist, sich in dieser Stadt wohlzufühlen, gibt es genauso zahlreiche Personen, die damit nichts anfangen können. „Natürlich gibt es Leute, die an dieser Berliner Schnoddrigkeit und Informalität keinen Spaß haben und wieder weggehen“, so Simon.

2. Grund: Immer mehr Internationalität

Einen weiteren Grund für das notorische Hauptstadt-Duzen sieht Simon in der zunehmenden Internationalität in der Stadt. In Berlin leben viele Menschen aus aller Herren Ländern. Während für einige das „Du“ eher kulturell bedingt ist, gibt es in manchen Sprachen ein „Sie“ nicht einmal, wie etwa im Englischen.

3. Grund: Das soziale Milieu

Weniger das Alter, als das soziale Milieu sind laut Simon entscheidend, ob eine Person in Berlin nun das „Du“ oder das „Sie“ verwendet. Das führe auch zu Unterschieden innerhalb der Stadt: Während in Kreuzberg jeder geduzt werde, könne das in Köpenick oder Reinickendorf anders aussehen.

Es sei jedoch ein Fehlschluss, die Anredepräferenzen einer Person stur von ihrem Alter abzulesen. Ausschlaggebend fürs Duzen sei nämlich meist nicht die Generation, sondern der Beruf, der Kiez oder die Wertevorstellungen der Personen.


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Bleibst also abschließend die Frage, ob Berliner unhöflicher sind als der Rest, wenn sie öfters duzen. Für Simon ist die Sache klar: Das sei ein weiterer Fehlschluss! Höflichkeit könne viele Formen haben, je nach sozialer Norm. „Man darf nicht den Fehler machen zu sagen, die Personen in der Stadt x sind höflicher oder freundlicher als in der Stadt y.“ Und weiter: „Nur weil die Leute in Hamburg häufiger siezen, bedeutet das nicht, dass sie auch insgesamt höflicher sind.“