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Deutsche Wirtschaft stürzt ab – Experte: so würde die Trendwende gelingen

Die Deutsche Wirtschaft ist ein „kranker Mann“. Im Interview zeichnet Peter Bofinger ein düsteres Bild, sieht aber eine letzte Chance.

Der frühere Wirtschaftsweise Bofinger schlägt Alarm: Die Deutsche Wirtschaft ist im Hintertreffen.
© IMAGO/IPON

Kurz erklärt: Die Schuldenbremse

Die FDP hat einer Reform der Schuldenbremse eine Absage erteilt und statt dessen Reformen bei den Sozialleistungen angemahnt. Seit 2011 steht die Schuldenbremse im Grundgesetz; sie verpflichtet Bund und Länder zum sparsamen Haushalten. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Die VW-Krise inklusive sich anbahnender Kündigungen, der Verkauf von DB Schenker und das auf Eis legen der Intel-Chipfabrik bestätigen das „Bild eines kranken Mannes“. Peter Bofinger, ehemaliger Wirtschaftsweise unter Angela Merkel und einer der bekanntesten Ökonomen des Landes, sieht die deutsche Wirtschaft auf eine Wand zufahren. Im Interview mit unserer Redaktion erläutert er seine düstere Prognose.

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Das Bekanntwerden der fast schon existenzbedrohenden VW-Probleme war wie „das Platzen einer Eiterbeule“, denn seitdem weiß jeder um den kriselnden Zustand der deutschen Wirtschaft. Doch aus Sicht von Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre, Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Würzburg, ist genau das der große Fehler. Die Talfahrt hätte schließlich schon im Jahr 2019 begonnen, aber die Politik habe die Augen vor dem sich anbahnendem „Fiasko“ verschlossen.

„Ich habe schon vor gut einem Jahr das Bild eines kranken Mannes gezeichnet und sage schon länger, dass unser Geschäftsmodell den wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht mehr gerecht wird. Das Modell besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der äußerste Kreis ist der Export, der mittlere Kreis die Industrie und der innere Kreis ist die Automobilbranche. Jeder dieser Kreis lief einmal gut, so ist es jetzt aber nicht mehr.“

Peter Bofinger im Interview mit unserer Redaktion
Export, Industrie und Automobilindustrie bilden den laut Bofinger den konzentrischen Kreis der deutschen Wirtschaft.
Export, Industrie und Automobilindustrie bilden den laut Bofinger den konzentrischen Kreis der deutschen Wirtschaft. Credit: Funke Digital

Der Export leide vor allem unter dem Protektionismus der Chinesen. „Sie versuchen, ihren eigenen Binnenmarkt zu stärken und Produkte selbst herzustellen. Sich auf den Export als Schrittmacher der Konjunktur zu verlassen, funktioniert nicht mehr.“ Parallel dazu kämpfe die Industrie mit Herausforderungen wie den steigenden Energiepreisen und der Dekarbonisierung. Der Fakt, „dass wir in Sachen Digitalisierung, Dienstleistungen und Zukunftstechnologien wie Solar- und Chiptechnologie schwach sind“, würde die traditionelle Industriefokussierung weiter erschweren.

„Das führt dann zu der Krise in der Automobilindustrie – und hier treffen alle Probleme zusammen. Man hat die ganze Wende hin zur Elektromobilität verschlafen, dabei geht es aber nicht nur um den Motor. Es geht vor allem um die digitale Infrastruktur, welche wir selbst gar nicht mehr hinbekommen. Wir sind mittlerweile nicht mehr diejenigen, die das Intelligente liefern, sondern das weniger intelligente im Produkt. Daraus resultiert eine China-Fokussierung unsererseits.“

Wirtschaftsexperte Bofinger: Bundesregierung hat „falsche Philosophie“

Diese Fehlentwicklung spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Laut Prognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung wird die deutsche Konjunktur 2024 gänzlich auf der Stelle treten, das Bruttoinlandsprodukt stagniert mit 0,0 Prozent Wachstum im Jahresdurchschnitt. Licht am Horizont gibt es kaum, denn die Prognose für 2025 sagt lediglich ein Wachstum von 0,7 Prozent voraus. Zum Vergleich: Das prognostizierte Wachstum (2024) für die europäische Wirtschaft liegt bei 1,0 Prozent und für die USA bei 2,7 Prozent. Die chinesische Regierung strebt ein Wachstum von knapp 5,0 Prozent an.


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Dass Deutschlands Wirtschaft in ein solches Hintertreffen geraten ist, ist für Bofinger eine logische Konsequenz. „Wir haben meiner Meinung nach eine falsche Philosophie von wirtschaftlicher Entwicklung. In China ist diese Entwicklung nicht vom Himmel gefallen, sondern da hat sich der Staat Gedanken über Zukunftsfelder und mögliche Subventionen gemacht.“ Die deutsche Politik würde derweil in einer „Bilderbuchwelt“ leben:

„Die Idee bei uns ist ja, dass sich der Staat zurückzieht – weil der Staat mit seinen Steuern und Regulierungen das Problem sei und wir mehr Wettbewerb bräuchten. Der Markt könne sich alleine steuern. Aber nirgendwo kann das der Markt. Überall steckt staatlicher Interventionismus hinter der Entwicklung der Wirtschaft. Das ist von uns völlig naiv, das ist ein Bilderbuch der Marktwirtschaft. In Deutschland haben wir damit auch schon positive Erfahrungen gemacht: Airbus hätte sich ohne staatliche Industriepolitik auch nicht in Deutschland angesiedelt.“

Deutsche Wirtschaft: Schuldenbremse blockiert Zukunft

Die Ideen von Schuldenbremse und ausgeglichenen Haushalten würden Deutschland deshalb noch weiter zurückwerfen. Mit der vorherrschen FDP-Denkschule kann er weniger anfangen. So viel Geld, wie man zugunsten der Wirtschaft aktuell in die Hand nehmen müsste, ließe sich nirgends einsparen. Beispielsweise wären die 2,5 Milliarden Euro, welche man durch eine hypothetische Zehn-Prozent-Kürzung des Bürgergelds erhalten würde, nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

„Erstmal müssen wir die Schuldenbremse wegbekommen. Es gibt keine große Volkswirtschaft, die im Augenblick mit ausgeglichenen Haushalten läuft. Alle haben massive Defizite. Eigentlich sind wir die Geisterfahrer und denken trotzdem, dass wir besonders toll sind. Ohne Geld läuft ja gar nichts, das ist ja die Grundvoraussetzung.“

In dieser massiven Kritik ruht zugleich Bofingers einzige Hoffnung: Deutschland habe finanziellen Spielraum wie kaum ein anderes Land. Noch bestehe die Möglichkeit, für die nächsten zehn Jahre ein „Power-Programm“ aufzulegen.

„Wir haben eine Staatsverschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Wenn wir jetzt eine Billion Euro in die Hand nehmen würden und ein Power-Programm umsetzen, dann würde unsere Schuldenquote (ohne Wachstumseffekte) auf 85 Prozent steigen. Dann liegen wir noch immer weit unter Frankreich, Italien, den USA und Japan. Die Japaner haben eine Schuldenquote von 250 Prozent. Wenn wir wollten, könnten wir unglaublich viele Mittel in Gang setzen, um das aufzuholen.“

Beispielsweise könne man 30 Milliarden in die Künstliche Intelligenz investieren und versuchen, die besten Leute aus der ganzen Welt zu kaufen. Man könne die Ladeinfrastruktur für Wasserstoff- und Elektromobilität ausbauen. Man könne über Felder wie autonomes Fahren oder Robotik nachdenken. „Ich würde versuchen, diese Zukunftsbereiche jetzt zu definieren und die Potenziale zu fördern. Wir müssen schauen, in welchen Bereichen wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine gute Position im Weltmarkt erreichen können. Das Geld dazu haben wir.“